Redebeitrag zur Mahnwache „Krieg in der Ukraine“

Guten Abend,

ich bin Herbert Begemann vom Verein Bruder-Schönfeld-Forum.

Einige von Ihnen waren vielleicht auch am letzten Freitag hier. Ich sollte schon letzte Woche hier sprechen. Doch die praktischen Umstände ließen das nicht zu.
In der Zwischenzeit haben wir im Fernsehen und Internet die schrecklichen Bilder aus den Städten am Rande von Kiew gesehen. Ich habe überlegt, ob ich den vorbereiteten Text ändern sollte. Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich für das Geschehen in diesen Orten zwar die passenden Gefühle habe, mir aber wie vielen anderen auch, die passenden Worte fehlen.


Unser Verein Brüder-Schönfeld-Forum, hat in seiner Satzung als Zweck festgeschrieben, an die Opfer von Verfolgung zu erinnern, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus. Auch wollen wir uns ganz allgemein für den friedlichen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Kulturen einsetzen.

Wie man sich denken kann, lesen wir viel in Berichten und Dokumenten, hören uns Schilderungen von Zeitzeugen an, studieren Hunderte von Akten, die sich auf vergangene Zeiten beziehen. Zeiten der Diktatur, der Verfolgung, der Zerstörung und des ungebremsten Mordens. Doch in diesen Tagen kann man dabei den Eindruck gewinnen, als spiegele das die aktuelle Gegenwart:


Da geht es um Flucht und Vertreibung, um die Trennung von Familie und Freunden, um die Rettung der Kinder. Es geht um das Ankommen in einer fremden Welt und die Sorge, wie es um die Zurückgelassenen steht.

In jedem Zeitalter hinterlassen Kriege ähnliche Spuren der Verwüstung und des Leids. Sie hinterlassen unzählige Tote. Sie sind auf Friedhöfen, Denkmälern und Erinnerungstafeln öffentlich dokumentiert.

In der deutschen Sprache benutzen wir die Redewendung, ein Krieg sei „ausgebrochen“. Wir sagen „vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges“ oder „nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs“, ganz so, als käme der Krieg über die Menschheit wie ein Wetterumschwung, etwas mit dem man immer mal rechnen musss, ohne zu wissen wann.

Doch Kriege brechen nicht einfach aus, sie werden von Menschen gewollt, angefangen, provoziert, befördert oder billigend in Kauf genommen. Sie sind auch nicht das Werk eines einzelnen Menschen. Reden wir uns nicht ein, dass es zum Krieg nicht käme oder der Krieg schnell beendet sein würde, wenn es die Assads und Putins nicht gäbe. Denn hinter den Assads und Putins gibt es immer eine Armada von Interessierten, die vom Krieg profitieren, mit ihm eigene Ziele verfolgen oder darin eine gute Gelegenheit für was auch immer sehen.

Was große Kriege angeht, stehen wir hier auf kontaminiertem Boden: Vor sehr langer Zeit, im Herbst 1813, marschierten hier die napoleonischen Soldaten durch Dörnigheim Richtung Frankfurt. Sie hatten das Gefühl, in der Schlacht von Hanau gesiegt zu haben. Doch angesichts der zurückgelassenen annähernd 15.000 Toten kann man nur zu dem Schluss kommen: Krieg und Sieg haben nur im Wortklang etwas gemeinsam. Der Krieg ist für niemanden ein Sieg. Er ist immer und für alle von Anfang an eine Niederlage. Eine Niederlage für die Wahrheit, eine Niederlage für die Menschlichkeit und eine Niederlage für Leib und Leben.

„Wehret den Anfängen!“, möchte man rufen. Aber wo ist der Anfang eines Krieges? Wo ist der Anfang des Krieges gegen die Ukraine? Wann und wie hätte man ihn verhindern können? Das sind wichtige Fragen, über die wir miteinander sprechen müssen. Nicht darüber, ob wir morgen noch Sonnenblumenöl einkaufen können, ob Anna Netrebko weiterhin auf unseren Opernbühnen auftreten sollte oder wann der versprochene Rabatt auf gestiegene Preise kommt. Die Sache ist zu wichtig, als dass wir auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen dürfen.


Kümmern wir uns weiterhin um die Geflüchteten aus der Ukraine. Bleiben wir zugänglich für die Menschen aus Russland. Sorgen wir uns weiterhin um die Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und anderen Kriegsgebieten. Vergessen wir nicht diejenigen, die in den Lagern der Grenzregionen festsitzen, ohne dass wir Ihnen eine Perspektive eröffnet haben. Schaffen wir Räume für den Ausgleich zwischen staatlich verfeindeten Völkern. Tun wir das unsrige, jede und jeder nach den eigenen Möglichkeiten.       Vielen Dank!

Beitrag zur wöchentlichen Maintaler Mahnwache (Maintal-Dörnigheim, Käthe-Jonas-Platz) Freitag, den 8. April 2022

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